Die Vorläuferorganisationen der Fakultät für Physik

Erste Organisationseinheit: Lehrkanzel + Physikalisches Cabinet → Institut für Experimentalphysik

Die älteste Keimzelle der Physik an der Universität Wien leitet sich noch aus der Aristotelischen  Naturphilosophie, für die es ab dem Jahre 1554 eine eigene Lehrkanzel gegeben hat, ab. Im Jahre 1714 wurde die Lehrkanzel von den Jesuiten mit dem sogenannten Museum Mathematicum, später Physikalisches Museum und Physikalisches Cabinet genannt, ergänzt, um den Unterricht mit physikalischen Geräten, Werkzeugen und Modellen von Maschinen zu veranschaulichen.

Das älteste Objekt der heutigen Sammlung dürfte eine Archimedische Schnecke sein. Im Kunsthistorischen Museum Wien wurde jüngst ein Übergabeprotokoll aus dem Jahre 1790 gefunden, wo unter anderem zu lesen ist, dass eine Cochlea Archimedia von Blech vom Kunstkabinett der Habsburger dem Physikalischen Museum der Universität Wien übergeben wurde. Die zufällig aus dem Jahr 1817 erhaltenen Inventarliste bestätigt die Existenz vermutlich dieser Archimedischen Schnecke. Möglicherweise Ende 18. Jahrhundert sind auch ein hölzernes Räderwerk einer Atwood-Maschine und die sogenannten Walcher’schen Maschinen zu datieren. Diese zierlichen Holzmodelle von Hebzeugen, einer Presse und einer theoretischen Schraube gehen auf Joseph Walcher (1719 - 1803) zurück, der Mechanik an der Universität Wien lehrte. Immerhin weist eine Anschaffungsliste aus den Jahren 1806 bis 1807 eine Atwoodmaschine aus. Andreas von Baumgartner (1793 - 1865), der die Wiener Physik aus dem „Dornröschenschlaf“ erweckte, hatte von 1823 bis 1832 die Leitung des Physikalischen Museums über und modernisierte damals dessen Bestand. Dies ist auch einer der Gründe, dass im heutigen Sammlungsbestand kaum Geräte zu finden sind, die in der Liste von 1817 genannt werden. Jedenfalls zeugen aus Baumgartners Zeit etliche Aräometer mit der Aufschrift „… für das k. k. physikalische Museum verfertigt von Wilhelm Gintl 1830“ und ein Plössl-Fernrohr aus dem Jahr 1832 aus dieser Periode. Andreas von Ettingshausen (1796 - 1878) setzte die laufende Aktualisierung des Inventars im Physikalischen Museum bis zum Jahr 1848 fort: 1834 wurde der noch gut erhaltene Multiplikator nach Nobili angeschafft, hergestellt von Johann Michael Ekling (1795 - 1876), der in dieser Zeit in Wien einer der wichtigsten Hersteller physikalischer Apparate war – so lieferte Ekling auch zwei Tangentenbussolen. Weiters zeugen von dieser Zeit einige Plössl-Mikroskope, Polarisationsapparate der Fa. Soleil, ein Heliostat nach Silbermann oder auch Pfeifen der Fa. Marloye.

In der ursprünglichen Form bestand das Physikalische Museum bis 1850. Es befand sich damals in der „Neuen Aula“, wo heute die Akademie der Wissenschaften ihren Sitz hat. 1851 verarmte es, da Christian Doppler (1803 - 1853) für sein neu gegründetes Physikalisches Institut den Großteil der Gerätschaften in die Erdbergstraße 15 abziehen durfte – darunter bestimmt ziemlich alle Geräte, die zwischen 1830 und 1850 angeschafft wurden. Ab 1855 wurde das Physikalische Cabinet im Konviktsgebäude, Bäckerstraße 20, angesiedelt, wo es noch unter der Führung von August Kunzek (1795 - 1865) wiederbelebt wurde. Kunzeks Nachfolger, Viktor von Lang (1838 - 1921), gelang es, den Bestand wieder zu vervollständigen. Unter ihm wurde die Lehrkanzel Physik zusammen mit dem eigentlichen Physikalischen Cabinet als eine Einheit verstanden und übersiedelte als solche 1875 in die Türkenstraße 3. 1902 erfolgte die Umbenennung des Physikalischen Cabinets in I. Physikalisches Institut, welches – seit 1913 in der Strudlhofgasse / Boltzmanngasse – ab 1977, wohlbekannt, Institut für Experimentalphysik genannt wurde. Im Jahre 2004 wird es als solches in die Fakultät für Physik einverleibt. Ungefähr 250 Objekte, darunter einige der ältesten, sind auf diesem Wege in die historische Sammlung gekommen.

Zweite Organisationseinheit: Physikalisches Institut der k. k. Universität  → Institut für Theoretische Physik

Bedingt durch die Reform des Studienwesens im Jahr 1848/49 kam es im Jänner 1850 zur Gründung des Physikalischen Institutes der k. k. Universität Wien, dessen erster Direktor Christian Doppler wurde. Ziel dieses Institutes war es, vermehrt Physiklehrer für die Gymnasien auszubilden, aber auch physikalische Forschung zu ermöglichen. Mit der Unterrichtsreform war der Bedarf an Lehrern gestiegen, da die Gymnasien die beiden vorbereitenden philosophischen Universitätsjahrgänge übernahmen, die auch Physik enthielten, und damit von statt 6 auf 8 Klassen erweitert wurden. Standort des Physikalischen Instituts war, wie auch für Lehrkanzel und Physikalisches Cabinet,  die neue Aula der Universität Wien. Vorgesehen war, dass Doppler und August Kunzek, der Inhaber der Lehrkanzel, das Physikalische Cabinet gemeinsam nutzen sollten. Allerdings herrschte in der neuen Aula Platznot, weil wegen der Unruhen von 1848 nach wie vor Einheiten des Militärs Universitätsräumlichkeiten beanspruchten. So mietete sich Doppler ab April 1851 in einem Wohnhaus in der Erdbergstraße 15 ein und nahm, wie bereits oben erwähnt, einen Großteil der Ausstattung des Physikalischen Cabinets nach Wien-Erdberg mit. Wegen Dopplers frühen Tods oblag es dann seinem Nachfolger, Andreas von Ettingshausen, das Physikalische Institut in Schwung zu bringen.

Aus der Zeit Dopplers um 1850 stammen der große Uhrwerkheliostat von Pistor & Martins, der Theodolit mit versilberter Skala und das Schädelskelett mit fünf Schatullen der Gehörknöchelchen. Ettingshausen schaffte im Jahre 1858 das große Refraktionsgoniometer nach Mitscherlich und Poggendorff an, welches damals 1000 Taler kostete und heute ein Glanzstück der Sammlung ist. Weitere seiner Anschaffungen sind: das kleine Hipp’sche Chronoskop, die Akkordsirene von Sauerwald, die Zahnsirene von Lenoir und Forster, das Sklerometer von Merker, zwei Galvanometer nach Weber, das Geradsichtspektroskop von Dubosq, ein weiteres Universalgoniometer vom polytechnischen Institut, usw.

Der nächste Leiter des Institutes in Wien-Erdberg war Josef Stefan (1835 - 1893), der sich für mathematische Physik habilitiert hatte und sowohl experimentell als auch theoretisch wesentlich zum guten Ruf der Wiener Physik beitrug. Bekannt sind vor allem seine Arbeiten zur Diffusion von Flüssigkeiten und Gasen, zur Wärmeleitung von Gasen und zur Wärmestrahlung – das „T hoch vier Gesetz“. Die noch vorhandenen Originalapparate von Josef Stefan gehören zu den wichtigsten Sammlungsobjekten. Dazu gehören das Diathermometer (ca. 1870), mit dem erstmals die Wärmeleitfähigkeit von Gasen erfolgreich gemessen werden konnte, weitere Vorstufen zu diesem Apparat, Apparate für die Messung der Diffusion zwischen Flüssigkeiten, sowie der Fallapparat. Weitere Anschaffungen der Ära Stefan sind: der Heliostat nach Stampfer, das Universalgalvanometer von Siemens & Halske, der Helmholtz’sche Motor, die Gramme Maschine, die Stimmgabeluhr, das Torsionsdynamometer, die Waltenhofen’sche Waage, usw.

Unter Stefan übersiedelte die Erdberger Physik 1875 in das Wohnhaus Türkenstraße 3, wo es ab diesem Jahr  wieder einen gemeinsamen, erneut provisorischen Standort der ganzen Physik der Universität Wien gab. Grund für die Umsiedelung waren bauliche Mängel im Haus   Erdbergstraße 15 und die örtliche Abgelegenheit. Der Nachfolger Stefans, Ludwig Boltzmann (1844 - 1906), habilitierte sich ebenfalls in mathematischer Physik. Ludwig Boltzmann wird einer der einflussreichsten Physiker seiner Zeit, er ist vor allem bekannt für seine statistische Physik, die wahrscheinlichkeitstheoretische Begründung der Wärmelehre, die theoretische Ableitung des Stefan-Boltzmann’schen Gesetzes und als Verfechter des Atomismus. Seiner ersten Amtszeit von 1894 bis 1900 kann man auf jeden Fall den Erwerb der sehr schönen analytischen Waage von Jos. Nemetz mit externer Gewichtsauflage von 10 g bis  10 mg zuordnen.

Als Boltzmann nach kurzer Abwesenheit in Leipzig 1902 erneut Leiter des Physikalischen Institutes werden soll, kommt es auf seinen Wunsch zu einer von Kaiser Franz Joseph genehmigten Neuordnung: Das ursprünglich experimentell ausgerichtete Institut Dopplers wird  das Institut für Theoretische Physik. Experimentelles Inventar wird an das I. und (noch zu besprechende) II. Physikalische Institut abgegeben. Das Institut für Theoretische Physik – seit 1913 in der Strudlhofgasse / Boltzmanngasse – wird 2004 Teil der  Fakultät für Physik.

Dritte Organisationseinheit: Chemisch-Physikalisches Laboratorium  → Institut für Materialphysik

Mit Aufnahme des gemeinsamen Standortes Türkenstraße 3 für die Physik der Universität Wien wurde 1875 das Chemisch-Physikalische Laboratorium eröffnet, bald auch Physikalisch-Chemisches Institut genannt. Es war bereits 1867 von Josef Stefan, Viktor von Lang und anderen beantragt worden. Damit wollte man den zunehmenden Forschungsbedarf der „physikalischen Chemie“ abdecken. Der erste Leiter war Josef Loschmidt (1821 - 1895), der damals bereits durch seine Abschätzung der Größe der Luftmoleküle und seine praktische chemische Erfahrung hoch geachtet war. 1891 wird Franz Serafin Exner (1849 - 1926) Nachfolger Loschmidts. Er forscht auf den Gebieten der Elektrochemie, der atmosphärischen Elektrizität, der Spektralanalyse und der Farbenlehre. Er übernimmt auch die Abhaltung der experimentellen Praktika, die eigentlich Ludwig Boltzmann im Physikalischen Institut hätte halten müssen. Dies und auch die Tatsache, dass Exner kaum physikalische Chemie machte, sind Beweggründe für die vor allem von Boltzmann initiierte Neuordnung, aus der Exners Institut als II. Physikalisches Institut hervorgeht.

Franz Serafin Exner, Zeitgenosse von Ludwig Boltzmann, ist unter seinen Mitarbeitern sehr beliebt. Um Daten für seine luftelektrische Forschung zu sammeln,  reiste er  sogar selbst nach Ägypten und Indien,  sein Mitarbeiter, Hans Benndorf (1870 - 1953), machte luftelektrische Messungen in Sibirien. Er ließ auch Ballonflüge durchführen und förderte die Erforschung der Radioaktivität. Viele seiner Schüler besetzten später Lehrstühle, zwei seiner Mitarbeiter schafften es bis zum Nobelpreis: Viktor Franz Hess (1883 - 1964) – kam über die luftelektrische Forschung zur Entdeckung der kosmischen Höhenstrahlung (Nobelpreis 1936) – und Erwin Schrödinger (1887 – 1961; Nobelpreis 1933, Wellenmechanik).

1913 übersiedeln Exners II. Physikalische Institut, wie auch das I. Physikalische Institut unter Ernst Lecher und das Institut für Theoretische Physik unter Friedrich Hasenöhrl (1874 - 1915) in den lang ersehnten Neubau in der Strudlhofgasse 4 / Boltzmanngasse 5.

Das II. Physikalische Institut wird 1977 in Institut für Festkörperphysik und dieses 1996 in Institut für Materialphysik umbenannt und wird als solches in die Fakultät für Physik eingegliedert. Ungefähr 930 Objekte, meist aus der Zeit 1890 bis 1913, sind im Wege des II. Physikalischen Institutes in die historische Sammlung transferiert worden. Darunter sind aber auch besonders wertvolle Stücke aus dem Physikalischen Museum (bereits oben erwähnt), die Christian Doppler in sein Physikalisches Institut mitgenommen hatte und im Zuge der Neuordnung 1902 dem II. Physikalischen Institut zukamen. Besonders auffällig ist, dass durch die Notzeiten und Wirren der beiden Weltkriege zwischen 1914 und 1950 kaum neue physikalische Apparate in die Physikalischen Institute kamen und noch einige Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg viele historische Geräte, vor allem in der Lehre, aber vereinzelt auch in der Forschung, im Einsatz waren. Hier sind z.B. zu nennen: die elektrischen Messbrücken, verschiedenste Bauformen von Stöpselwiderständen, die Spiegelgalvanometer, analytische Waagen, das große Hipp’sche Chronoskop (1897), die Influenzmaschine (1900), die Spektral- und Polarisationsapparate, die Refraktometer nach Abbe und Pulfrich, die Ehrenhaft-Apparatur oder das Michelson-Interferometer.

Vierte Organisationseinheit: Institut für Radiumforschung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften → Institut für Isotopenforschung und Kernphysik

Das Vorkommen von Uranerz im böhmischen Sankt Joachimsthal (heute Jáchymov) führte zu frühen Kontakten der Wiener Physiker mit der Erforschung der Radioaktivität. So hatte das Ehepaar Curie schon 1898 Pechblende aus Joachimsthal erhalten und daraus das Element Radium extrahiert. In der Folge schenkte das Ehepaar Curie Franz Exner und Mitarbeitern eine ganz kleine Menge Radium für weitere Untersuchungen. Zusätzliche Mengen an Radium wurden in Atzgersdorf bei Wien hergestellt. Auch Ernest Rutherford verwendete Wiener Radium. Die Verfügbarkeit der Uranlagerstätten und die rege Forschungstätigkeit über das Radium veranlassten 1908 den Rechtsanwalt Dr. Carl Kupelwieser (1841 – 1925) der Akademie der Wissenschaften 500.000 Kronen für den Bau eines Institutes für Radiumforschung zu stiften. Die Bedingung war, dass es in Nachbarschaft der neu zu errichtenden physikalischen Institute gebaut werden sollte. Im Oktober 1910 wurde es als erstes neues Gebäude auf den Bäckenhäusl-Gründen, heute Boltzmanngasse 3, eröffnet. Die ersten drei Jahrzehnte leitete Stefan Meyer (1872 - 1949) das Institut. Es gab beachtliche Erfolge in der Radiochemie und anderen Methoden der Radioaktivitätsforschung (Mitentwicklung der Tracermethode, Georg von Hevesy (1885 – 1966) erhielt für deren Anwendung 1943 den Nobelpreis für Chemie). Viktor Franz Hess, der erste Assistent des Radiuminstitutes, entdeckte in den Jahren 1911/12  mittels  Ballonflüge die kosmische Höhenstrahlung (Nobelpreis 1936).

Ab 1920 widmete man sich im Radiuminstitut mehr der Kernphysik. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde ein beträchtlicher Teil des wissenschaftlichen Personals vertrieben, nach dem Krieg herrschte extreme Armut. 1955 wurde für die Leiterin Berta Karlik (1904 - 1990) eine Lehrkanzel für Kernphysik eingerichtet und die Bezeichnung Institut für Radiumforschung und Kernphysik festgelegt, womit dieses nun zugleich ein Institut der Akademie und der Universität Wien war. 1987 wurde einerseits für dieses Institut der Status „Akademie-Institut“ aufgegeben, es blieb aber Universitätsinstitut und wurde im Jahr 2000 in Institut für Isotopenforschung und Kernphysik umbenannt und so 2004 Teil der Fakultät für Physik. Andererseits führte man 1987 eine der Forschergruppen des Instituts für Radiumforschung und Kernphysik nach wie vor als Akademie-Institut unter dem Namen Institut für Mittelenergiephysik weiter, welches 2004 in Stefan-Meyer-Institut für Subatomare Physik umbenannt wird. Noch im Jahr 2004 wird das Institut für Isotopenforschung und Kernphysik in die Währinger Straße 17 umgesiedelt. Die freiwerdenden Räume in der Boltzmanngasse 3 erhält nun das im Jahr 2003 gegründete Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Damit ist das ehemalige Radiuminstitut wieder vollends ein Gebäude der Akademie der Wissenschaften.

Franz Sachslehner